Synagoge Celle
Die Synagoge Celle ist die älteste erhaltene Fachwerksynagoge in Niedersachsen. Sie liegt nahe der Altstadt von Celle.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nachdem Juden im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg 1737 die Erlaubnis erhielten, Synagogen zu bauen, erwarb die jüdische Gemeinde in Celle 1738 zwei Grundstücke, auf denen sie um 1740 die heutige Fachwerksynagoge errichtete. 1883 erfolgte eine umfangreiche Sanierung, bei der eine Bleiverglasung hinzukam. Während der Novemberpogrome 1938 wurden die Innenräume zerstört und Kultgegenstände auf die Straße geworfen und verbrannt. Die Synagoge wurde jedoch nicht angezündet, weil man ein Übergreifen der Flammen auf die Nachbarhäuser und die nahe Altstadt mit den eng beieinander stehenden Fachwerkhäusern befürchtete. Danach diente die Synagoge als Lagerraum. In den Vorderhäusern wurden ab 1942 die verbliebenen jüdischen Gemeindemitglieder bis zur Deportation untergebracht.[1] 1945 wurde die Synagoge wieder für Gottesdienste hergerichtet.
Die Stadt Celle erwarb die Gebäude im November 1969 vom Landesverband der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen[2] und nahm 1972 bis 1974 unter Leitung des städtischen Hochbauamts eine umfassende Instandsetzung und Wiederherstellung, einschließlich der beiden Vorderhäuser, vor.[3] Am 20. Juni 1974 wurde die Synagoge durch den Heidelberger Rabbiner Nathan Peter Levinson eingeweiht. Seit 1996 sind in den Vorderhäusern Ausstellungsräume eingerichtet, in denen wechselnde Ausstellungen und eine Dokumentation jüdischen Lebens in Celle gezeigt werden. Seit 1997 wird die Synagoge von der wiedergegründeten jüdischen Gemeinde Celle für Gottesdienste und Versammlungen genutzt. Zahlreiche öffentliche Veranstaltungen in der Synagoge organisiert die Celler Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
2004 wurden in den Bürgersteigen vor den Gebäuden Im Kreise 23 und 24 mehrere Stolpersteine verlegt,[4][5] darunter zwei für die zuletzt in Oldau als Zwangsarbeiter tätigen russischen Kriegsgefangenen, Jakob Gerschez und David Klatschko.[6][7][8]
Beschreibung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Synagoge wurde um 1740 in der für Celle typischen Fachwerkbauweise errichtet. Es handelt sich um ein Ensemble aus drei Fachwerkhäusern, das vorne aus dem dreigeschossigen Jüdischen Schulhaus (Im Kreise 24)[9] mit einem zweigeschossigen Wohnhaus (Im Kreise 23) sowie der hinter diesen beiden Gebäuden verdeckt auf der Rückseite angebauten Synagoge besteht. Die beiden Fachwerkhäuser sind möglicherweise etwas älter, was baugeschichtlich ungeklärt ist. Die Synagoge ist aus dem Straßenraum erst seit einem Gebäudeabriss seitlich von der Wehlstraße aus öffentlich einsehbar. Die Nichteinsehbarkeit einer Synagoge war im 18. und 19. Jahrhundert typisch und geht auf die ablehnende Haltung der christlichen Bevölkerung gegenüber dem jüdischen Kultus und der Einrichtung einer Synagoge zurück.[10] Die Erschließung der rückwärtigen Synagoge geschieht heute noch indirekt über den Flur des vorderen Schulhauses, dessen Treppenhaus zugleich hinauf zur Frauenempore führt.
Die Synagoge ist ein schlicht konstruierter, unverputzter Fachwerkbau mit Satteldach. Das Innere stellt sich relativ kleiner Saal von knapp 80 m² Grundfläche mit oben flach abschließender Stuckdecke dar. Um einen stützenfreien Raum zu ermöglichen, war in der Dachkonstruktion ein aufwändiges Hängewerk erforderlich.[11] Wie das innere Erscheinungsbild ursprünglich im 18. Jahrhundert aussah, ist unbekannt. Die Frauenempore ist 1754/55 und 1884 erweitert worden.[12][13] Die 1938 zerstörte barocke Ausstattung mit der Bima ist in den 1970er-Jahren nach Baubefunden, alten Abbildungen und mündlichen Berichten rekonstruierend wiederhergestellt worden. Der in der Ostwand sitzende Toraschrein ist in seinem oberen Teil original erhalten.[14]
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Blick auf die Frauenempore mit einem Teil der Dauerausstellung
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Kulturveranstaltung in der Synagoge
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Fachwerkhäuser Im Kreise 21–25; die Synagoge befindet sich hinter dem dritten und vierten Gebäude von links
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Ostfassade mit teilweise rekonstruiertem Erker des Toraschreins
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Vor der Synagoge verlegte Stolpersteine für zwei sowjetische Kriegsgefangene
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- John Busch, Jügen Ricklefs (Bearbeiter): Zur Geschichte der Juden in Celle. Festschrift zur Wiederherstellung der Synagoge. Hrsg. Stadt Celle. Celle 1974.
- Sabine Glatter, Andrea Jensen, Katrin Keßler, Ulrich Knufinke: Die Bauwerke und Einrichtungen der jüdischen Gemeinde in Celle. Synagoge, Mikwe, Friedhof (= Kleine Schriften zur Celler Stadtgeschichte. Band 2). Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld/Celle 1997, ISBN 3-89534-219-X, S. 15–65.
- Gernot Fischer: Celler Baudenkmale (= Celler Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte. Band 28). Hrsg. von der Stadt Celle. Stadt Celle, Celle 2000, ISBN 3-925902-40-6, S. 114–115 (Synagoge).
- Juden in Celle. Biographische Skizzen aus drei Jahrhunderten (= Celler Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte. Band 26). Hrsg. von der Stadt Celle. Stadt Celle, Celle 1996, ISBN 3-925902-23-6.
- Jüdisches Leben in Celle nach 1945 (= Celler Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte. Band 35; Quellen und Darstellungen zur Geschichte des Landkreises Celle. Band 8). Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung in der Celler Synagoge vom 19. April bis 30. Dezember 2005. Hrsg. von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Celle e. V. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2005, ISBN 3-89534-615-2, S. 34–36.
- Sibylle Obenaus: Celle. In: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen. Band 1. Hrsg. von Herbert Obenaus in Zusammenarbeit mit David Bankier und Daniel Fraenkel. Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, ISBN 3-89244-753-5, S. 394–421.
- Anne Riege u. a.: Stolpersteine. Spurensuche in Celle. Red.: Sabine Maehnert, Joachim Piper. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Celle, Celle 2008, ISBN 978-3-925902-66-6.
- Helmut Rüggeberg: Geschichte der Stadt Celle im Rahmen der niedersächsischen Landesgeschichte. Hrsg. vom Bomann-Museum Celle. Bomann-Museum, Celle 2007, ISBN 978-3-925902-62-8, S. 86.
- Sabine Maehnert (Schriftleitung): Jüdische Gemeinde in Celle. Dokumentation zur Ausstellung (= Kleine Schriften zur Celler Stadtgeschichte. Band 15). Celle 2014, ISBN 978-3-925902-90-1, S. 16–18.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Website der Stadt zur Synagoge
- Webseite der Touristinformation zur Synagoge
- Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen: Celle
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Siehe auch Adolf Isaak Joseph – Harburger Straße 70. In: celle.de, 10. November 2015, abgerufen am 20. April 2017.
- ↑ Sabine Glatter, Andrea Jensen, Katrin Keßler, Ulrich Knufinke: Die Bauwerke und Einrichtungen der jüdischen Gemeinde in Celle. Synagoge, Mikwe, Friedhof (= Kleine Schriften zur Celler Stadtgeschichte. Band 2). Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld/Celle 1997, ISBN 3-89534-219-X, S. 15–65, hier S. 21.
- ↑ Bericht des Hochbauamts der Stadt Celle zu diesen Arbeiten. In: John Busch, Jürgen Ricklefs (Bearbeiter): Zur Geschichte der Juden in Celle. Festschrift zur Wiederherstellung der Synagoge. Hrsg. Stadt Celle. Celle 1974, S. 59–60.
- ↑ Vergleiche die Dokumentation bei Commons (siehe Abschnitt Weblinks).
- ↑ Familie Feingersch – Im Kreise 23. In: celle.de. Stadt Celle, abgerufen am 15. August 2020.
- ↑ Reinhard Rohde, Tim Wegener: Landratsamt. In: celle-im-nationalsozialismus.de. Verein zur Förderung politischer Literatur e. V., archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 3. November 2016; abgerufen am 30. Mai 2019. Auszug aus: Reinhard Rohde, Tim Wegener: Celle im Nationalsozialismus. Ein topographischer Überblick. Broschüre zum Stadtrundgang „Celle im Nationalsozialismus“. Celle 2007, ISBN 978-3-89534-883-9, Landratsamt, Speicherstraße 23, S. 31 (celle-im-nationalsozialismus.de ( vom 23. September 2015 im Internet Archive) [PDF; 3,8 MB; abgerufen am 30. Mai 2019]).
- ↑ Jakob Gerschez – Im Kreise 24. In: celle.de, 10. November 2015, abgerufen am 20. April 2017.
- ↑ David Klatschko – Im Kreise 24. In: celle.de, 10. November 2015, abgerufen am 20. April 2017.
- ↑ Zur Schule: John Busch, Jügen Ricklefs (Bearbeiter): Zur Geschichte der Juden in Celle. Festschrift zur Wiederherstellung der Synagoge. Hrsg. Stadt Celle. Celle 1974, S. 43–47.
- ↑ Sabine Glatter, Andrea Jensen, Katrin Keßler, Ulrich Knufinke: Die Bauwerke und Einrichtungen der jüdischen Gemeinde in Celle. Synagoge, Mikwe, Friedhof (= Kleine Schriften zur Celler Stadtgeschichte. Band 2). Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld/Celle 1997, ISBN 3-89534-219-X, S. 15–65, hier S. 22.
- ↑ Hedda Saemann: Dachwerke über den welfischen Residenzbauten der Barockzeit im Kontext des höfischen Bauwesens. Untersuchungen in den ehemaligen Residenzstädten Hannover, Celle, Osnabrück, Wolfenbüttel und Braunschweig (= Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder, Professur für Denkmalkunde [Hrsg.]: Seria wydawnicza Katedry Ochrony Zabytków Uniwersytetu Europejskiego Viadrina we Frankfurcie nad Odrą. Band 3). Michael Imhof Verlag, Petersberg 2014, ISBN 978-3-86568-922-1, S. 440–442 (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte. Band 100. Zugl.: Frankfurt (Oder), Univ., Diss., 2012).
- ↑ Sabine Glatter, Andrea Jensen, Katrin Keßler, Ulrich Knufinke: Die Bauwerke und Einrichtungen der jüdischen Gemeinde in Celle. Synagoge, Mikwe, Friedhof (= Kleine Schriften zur Celler Stadtgeschichte. Band 2). Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld/Celle 1997, ISBN 3-89534-219-X, S. 15–65, hier S. 27.
- ↑ John Busch, Jügen Ricklefs (Bearbeiter): Zur Geschichte der Juden in Celle. Festschrift zur Wiederherstellung der Synagoge. Hrsg. Stadt Celle. Celle 1974, S. 43.
- ↑ Sabine Glatter, Andrea Jensen, Katrin Keßler, Ulrich Knufinke: Die Bauwerke und Einrichtungen der jüdischen Gemeinde in Celle. Synagoge, Mikwe, Friedhof (= Kleine Schriften zur Celler Stadtgeschichte. Band 2). Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld/Celle 1997, ISBN 3-89534-219-X, S. 15–65, hier S. 40; S. 40 ff. Hinweise zur weiteren Ausstattung.
Koordinaten: 52° 37′ 22″ N, 10° 5′ 14″ O